In diesem Sommer konnte ich mir einen Traum erfüllen: eine Alpenüberquerung mit dem Mountainbike. Zusammen mit Marc folgte ich Rainers Hinterrad von Oberstdorf nach Riva del Garda.
Im Gepäck nur das Allernötigste, etwas Kleidung, etwas Werkzeug, ein paar Energieriegel und im Kopf viele Erwartungen an Kondition und Wetter fahren wir die ersten Höhenmeter durch regennassen Bergwald hinauf zum Schrofenpass. Für den Balance-Akt an der Felswand schultern wir die Räder. Der Blick durch die Speichen die steilen Schrofen hinab verdeutlicht anschaulich die Folgen einer Unachtsamkeit: tief unter uns liegt ein am Vortag hinabgestürztes Fahrrad! Hoffentlich ist dem Fahrer nicht passiert.
Die leichte Kletterei ist nur der Beginn eines langen Tages. Vom Pass geht es über glitschige Pfade hinab und anschließend auf der Straße von Warth nach Lech und hinauf nach Zürs. Auf dem Flexenpass rettet uns eine warme Hütte vor kaltem Regen. Etwas trockener geht es gestärkt den Arlbergpass hinauf und anschließend starten wir einen sehr nassen wie langen Anstieg bis zur Heilbronner Hütte.
Die Müdigkeit ist groß, doch an Schlaf ist nicht zu denken: in uriger Atmosphäre sehen wir bis zum erlösenden Tor das Endspiel der Fussballweltmeisterschaft.
Die nächste Etappe führt uns in rauschender Abfahrt nach Ischgl und von dort das lange und steile Tal zur Heidelberger Hütte hinauf. Durch einen leckeren Kaiserschmarrn gestärkt erklimmen wir die letzten Höhenmeter zum Fimberpass, hinter dem uns eine grandiose Abfahrt bis nach Ramosch erwartet.
Ab dem dritten Tag haben wir mehr Glück mit dem Wetter. Das Val D’Uina hinauf kämpfen wir uns unter blauem Himmel. Die atemberaubende Schlucht lieferte Tragepassagen auf schmalen Felsenpfad und wunderschöne Aus- und Tiefblicke.
Die Schlucht öffnet sich zu einem lieblichen Hochtal, dass in weiten Strecken sogar mit dem Rad fahrbar ist. Von der Sesvenna-Hütte vernichten wir die erarbeiteten Höhenmeter und rauschen ins Vinschgau und weiter ins Münstertal.
Die vierte Etappe beginnt mit der Eroberung des Umbrailpasses, eine auto- und motorradarme Alternative zum Stilfserjoch. Kehre um Kehre geht der Kampf scheinbar unerträglich lang weiter. Die Landschaft ist umwerfend; leider konnte ich an diesem Tag nicht viel davon genießen… Was nach dem Pass folgt entschädigt allerdings für alle erlittenen Schmerzen: Über die Bocchetta di Pedenolo führt eine alte Militärstraße wunderbar gleichmäßig abfallend und sogar der Radfahrer hat Zeit für einen Blick auf das beeindruckende Bergpanorama.
Das tolle an den Alpen: es geht unheimlich laaaange bergab. Nach dem Trail geht es an einem Staussee vorbei und einer steilen Serpentinenstraße bis nach Bormio. Von hier sind es leider noch anstrengende und heiße Kilometer bis St.Caterina, um das Tagesziel zu erreichen.
Tag fünf wird noch einmal spektakulär. Zunächst erklimmen wir den Passo Gavia. Ausblick genießen, Bremsbeläge wechseln und in sausender Fahrt ins Tal! Eine freundliche Wirtin serviert uns einen großen Teller Pasta. Der ist auch nötig, denn nun geht es einen steilen Pfad hinauf zum Rifugio Bozzi und weiter zur Forcelina die Montozzo. Doch wie immer in den letzten Tagen ist die kolossale Anstrengung bereits in dem Moment vergessen, in dem der Blick über den erklommenen Pass schweift und die Abfahrt lockt.
Und die wird ein großes Vergnügen. Zunächst geht es durchs grüne Hochtal, bevor sich der Weg felsig bis geröllig zum Stausee stürzt.
Nach einer abenteuerlichen Flussüberquerung und weiteren Trage-, Rutsch- und Fluchpassagen erreichen wir mit einem breiten Grinsen im Gesicht die Straße und gleiten glücklich in den Sonnenuntergang.
Die sechste Etappe belohnt uns mit einer weiteren langen Abfahrt, ehe wir die steilen Pfade nach Madonna di Campiglio hoch drücken. Ich gebe zu: meine Muskeln sind zwar inzwischen derlei Anstrengung gewöhnt, dennoch weigern sie sich beharrlich und schmerzen außerordentlich. Der Schweiß rinnt in Strömen und tropft dauerhauft auf das Oberrohr; dem einzigen sauberen Ort am mittlerweile verdreckten Rad. Mehrmals möchte ich heute das Rad am Wegesrand entsorgen, doch die anderen sind voraus gefahren und vermutlich ist es das einzige, was mich am Treten hält. Irgendwann ist auch Madonna erreicht. Und natürlich: die scharfen Konturen der „Dolomiti di Brenta“ erfüllen mich augenblicklich mit Tatendrang. Noch fehlen einige hundert Höhenmeter. Wieder aufs Rad gesessen und weiter gehts. Zwischendurch liegen wir drei im Gras und schauen in die Felstürme, dann schieben wir die letzten Meter hinauf zum ersehnten Pass. Rainer und Marc finden einen sagenhaften Trail („technisch anspruchsvoll“) und anschließend hört man nur noch ihre Bremsen quietschen. Reichlich Zeit später treffe ich sie unten auf dem Forstweg wieder: grinsend und frohlockend. Alle im Glück!
Die letzte Etappe liegt vor uns. Es beginnen die „zum letzten Mal“-Rituale: Rucksack packen, Trikotüberziehen-Riechen-Augenverdrehen, Reifendruck prüfen, aufsteigen und Schmerzen ignorieren beim Hinsetzen. Dann sausen wir durch die kühle Morgenluft ins Tal. Mit jeder Kehre wird es wärmer; als wir die Hauptstraße erreichen, ist es unglaublich schwül. Diesig liegt das Sarcatal vor uns. Noch immer geht es bergab, ehe wir im Gegenanstieg schweigsam einige Höhenmeter hochkurbeln. Es ist ja „zum letzten Mal“. Die Fahrt durchs Lomasotal beginnt gemütlich auf Asphalt, wird dann schotterig und endet in einem von Mücken und Bremsen bevölkerten Steilanstieg. Da beim Schieben beide Hände dauerhaft am Lenker benötigt werden, fallen unsere Körper der bluthungrigen Meute zum Opfer und erst als wir schweißüberströmt oben im Sonnenlicht stehen, lassen die Plagegeister von uns ab. Doch neben dem Mückenpfad hat Rainers Routenplanung für die Abfahrt noch einen Traumtrail parat und so rollen wir sehr versöhnt und hochzufrieden in Riva ein.
Bleibt als Fazit nur ein Zitat von Rainer hinzuzufügen:
Radfahren
Essen
Schlafen
… und das eine ganze Woche lang! Wunderbar!